GILLIAN
WHITE




MIT MINIMALEM RESPEKT VOR WÄNDEN



Gillian Whites Beitrag für das Wohn- und
Beschäftigungsheim in Königsfelden


Eine Betrachtung von Uli Däster




Kein Monument an erlesenem Standort, keine nachträgliche Applikation, sondern eine wie selbstverständlich daherkommende und dabei ungemein sinnliche, kostbare Bereicherung von Aussen- und Innenräumen. Ein Glücksfall in Sachen Kunst am Bau und ein Beispiel für frühzeitige und intensive Zusammenarbeit von Architekten und Künstlerin.

1987 gewann der Brugger Architekt Rene Stoos den Wettbewerb für das Wohn- und Beschäftigungsheim auf dem Areal der psychiatrischen Klinik Königsfelden. Nur wenig später lud er Gillian White ein, sich Gedanken darüber zu machen, worin ihr Beitrag bestehen könnte. Schon bei der ersten Präsentation des Projekts sei ihr, sagt sie, die Kernidee vor Augen gestanden. Auslöser muss die Vorstellung gewesen sein, dass geistig behinderte Menschen sich oft mit zum Boden gerichtetem Blick zurechtzufinden suchen. Flache Bodenreliefs und -intarsien sollten den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern entgegenkommen. Es dauerte dann noch acht Jahre, bis der Bau am 20. August 1996 seinen Nutzern übergeben werden konnte - am grundsätzlichen Konzept konnte Gillian White während aller Überarbeitungen festhalten.




Fächersphäre

"Bodenarbeiten" gab es im Schaffen von Gillian White schon früher, etwa die farbigen Polyesterintersien im Forum Zurzach (1973) oder die noch mit Albert Siegenthaler angelegte Pflästerungslandschaft (1983) als Basis für das erst Jahre später endgültig fertiggestellte `Echodrome in Lausanne. Zu denken ist auch an die Gruppe der Sphären, von denen einzelne im Boden zu versinken scheinen, und an die Platte aus rotem Granit zum Gedenken an Anna Pestalozzi in Birr (1996). Aber die Arbeit für Königsfelden ist anders als alle anderen. Hier galt es, ein weitläufiges Bauprogramm mit verschiedenartigen Innen- und Aussenräumen in ein Gesamtkonzept einzubeziehen.











Zwei Trakte mit je vier reihenhausartig aneinandergefügten Wohn- und Beschäftigungspavillons liegen sich so gegenüber, dass dazwischen ein grosser Hof entsteht. Die Bauten sind reich gegliedert, farblich differenziert, wirken leicht und transparent und bieten so bei aller notwendigen Abschliessung ein Höchstmass an Offenheit. Das zum innenhof verglaste Erdgeschoss, die grossen Fenster, die kleineren quadratischen Öffnungne, die Landschafts- und Vegetationsausschnitte wie Bilder zu rahmen scheinen, lassen negative Vorstellungen von "geschlossenen Anstalten" vergessen. Den behinderten Menschen soll die wohnliche Umgebung für familienähnliche Lebensstrukturen geboten werden, auch in der Ausgestaltung der Räume mit Farben und Materialien.




Hier, wo die Sinne der Bewohnerinnen und Bewohner angesprochen werden, greift auch die Künstlerin ein. Sie konterkariert - in durchaus freundlichem Sinn - die architektonischen Vorgaben. Ihr System von Bodenintarsien verläuft in jeder Beziehung "schräg" zum rektangulären System der Gebäudegrundrisse und des Gesamtplans. Im Vorgarten, zum Teil schon auf der vorbeiführenden Strasse, beginnt das für jeden Pavillon charakteristische Ornament von ausholenden oder eng verschlungenen, sich überkreuzenden oder parallel geführten Wellenlinien und Strichbündeln. Es durchquert das Haus - "mit minimalem Respekt vor Wänden", wie es Gillian White in der Dokumentattionsschrift zum Bau formuliert -, führt diagonal über den begrasten Innenhof zum versetzt gegenüberliegenden Pavillon, der nun ebenfalls im Wohn- und Beschäftigungsbereich wie im Aussenraum von "seinem" Zeichen geprägt ist.







Während so jedes Haus seine Signatur erhält, wechselt das Material der Intarsien entsprechend den baulichen Gegebenheiten. Im Aussenbereich sind es je nach Bodenbelag kleinteilige Kieselsteinmosaiken mit Glasschmuckeinschlüssen oder glänzend geschliffener roter Granit. Im Gras des grossen Hofs tauchen die Zeichen sporadisch wieder auf; vor allem windet sich da die zentrale, großzügig mäandrierende Schlangenlienie aus geringfügig modelliertem Beton. Auch hier blitzt manchemal eine Glasperle auf. Im Hausinneren "zeichnet" die Künstlerin im Parkett mit farbigem Linoleum, im Nassbereich mit bemalten Keramikplatten und im Schieferbelag der Korridore mit matt glänzendem Messing. Besonders interessant wird es dort, wo verschiedene Bereiche aneinanderstossen und der Materialwechsel unmittelbar ins Auge fällt: Bei einer Glaswand geht die Linoleumbahn aussen direkt weiter mit dem Schlangenschuppenmuster der Kieselsteine; beim Eintritt durch die Badezimmertür wird das Messingband von derblauen Linie auf den Keramitkliesen abgelöst. Wer den Blick hebt, sieht ab und zu die Wellenlinie auch an der Decke nachgezeichnet.







Ein Anflug von Land Art und japanischem Trockengarten, kombiniert mit diskreter Innendekoration, dabei leicht verspielt, die Sinne ansprechend, Neugier und die Lust am kostbar Glänzenden weckend, mit liebevollen Details versehen und mit viel Empathie für die Bewohner geschaffen, integrierend in jedem Sinn: Gillian White hat hier ein eizigartiges Werk in einem Bau der öffentlichen Hand geschaffen, der dem Blick der Öffentlichkeit entzogen bleibt.


Uli Däster







Siehe auch die Fotostrecke "Kunst am Bau"







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